Mirabellas Hasenohren

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Eine Woche vor Ostern saß ich mit dem Füller in der Hand vor einem leeren Blatt und hoffte wieder einmal auf den Einfall des Jahrhunderts.
Vergeblich.
Um meine kleine Muse anzulocken, schrieb ich einfach irgendwas. Sie mag es nämlich gar nicht, wenn ich ohne sie anfange.
Kaum hatte ich den ersten Satz geschrieben, tauchte sie auch schon auf und runzelte die Stirn: „Ohne mich gibt das nichts!“

Fasziniert starrte ich Mirabella an: „Du hast Hasenohren auf dem Kopf …“
„Na klar, nächste Woche ist Ostern“, entgegnete sie, als sei es das Normalste auf der Welt so herumzulaufen.
Ihre Haare leuchteten karottenorange und obendrauf steckte ein Haarreif mit puscheligen weißen Hasenohren, die hin- und herwackelten.
Ihr Kleid war grasgrün, hatte kurze Ärmel und eine Kapuze. Bunte Eier mit Armen und Beinen liefen durch den Stoff und winkten mir freundlich zu.

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„Hast du etwa auch einen Puschelschwanz?“, lachte ich.
„Du hast vielleicht Ideen! Kein Wunder, wenn dir nichts Gescheites zum Schreiben einfällt.“ Kopfschüttelnd tapste sie mit ihren nackten Füßchen über das Blatt und zeigte mit dem dicken Zeh auf den ersten und einzigen Satz, den ich geschrieben hatte. Ihre Zehennägel waren – passend zum Kleid – grün lackiert, mit winzigen bunten Punkten darauf.
„Sind das da Eier auf den Nägeln?“, fragte ich mit großen Augen.
„Was sonst, es ist bald Ostern!“ Meine kleine Muse runzelte erneut die Stirn und sah mich an, als hätte ich nicht alle Ostereier im Nest.
Als Mirabella mir für einen Moment den Rücken zudrehte, versuchte ich unter ihr Kleid zu lugen.
Doch Mirabella schnellte herum, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah mich misstrauisch an: „Was machst du da?“
„Nichts …“, antwortete ich schnell und setzte eine unschuldige Mine auf.
Mirabella kniff ein Auge zusammen und starrte mich an: „Falls du einen Hasenpuschel suchst … ich trage keinen. Ich bin schließlich eine Muse und kein Hase!“
„Ich dachte nur … wegen der Ohren …“
„Das ist etwas anderes! Die hat mir der Osterhase persönlich geschenkt.“

„Der Osterhase … na klar …“
Eine Muse musste schließlich Fantasie haben, dachte ich mir.
„Du glaubst mir nicht?“ Mit großen Augen sah sie mich an.
Sofort fühlte ich mich, als würde ich schweben, ich sah einen Regenbogen und Sterne, es schien, als würde ich die ganze Welt in ihren Augen erblicken.
„Du glaubst mir nicht!“ Mirabella presste ihre Lippen aufeinander, drehte sich energisch um und setzte sich auf den roten Karteikasten, der auf meinem Schreibtisch stand. Dann griff sie in eine Tasche am Kleid und holte Schokoladeneier hervor.

Oh nein, nur das nicht!, dachte ich. Wenn sie sich jetzt mit Schokolade vollstopfte, dann würde sie dick und faul werden und nicht mehr fliegen können. Damit hatte ich schon meine Erfahrungen gesammelt. In dem Zustand war Mirabella kein schöner Anblick und als Muse unbrauchbar.

„Doch, ich glaube dir“, schoss es aus mir heraus, bevor sie das Schokoei in den Mund stopfen konnte.
Sie hielt inne: „Tatsächlich?“
„Aber ja, du bist doch meine wunderschöne kreative Muse. Selbstverständlich glaube ich dir“, erklärte ich verzweifelt und sah sie gespannt an.
„Wirklich?“ Mirabella legte das Schokoei beiseite und sprang vom Karteikasten.
„Ja“, bestätigte ich, erleichtert, die Katastrophe abgewendet zu haben, „erzähl mir davon.“

Tapsend kam sie auf mich zu, legte sich bäuchlings auf das fast leere Blatt, stützte ihren Kopf mit einer Hand und ließ die Beine in der Luft baumeln. Ihre Flügel leuchteten jetzt in den schönsten Regenbogenfarben, wie immer, wenn sie Geschichten erzählte.
„Ich war gerade hinauf zu den Wolken geflogen“, begann sie, „als ich einen wunderschönen Regenbogen sah. Ich flog sofort hin und rutschte hinunter …“

Sie hielt kurz inne und sah mich fragend an: „Bist du schon mal einen Regenbogen hinuntergerutscht?“
„Bisher nicht“, antwortete ich lächelnd.
„Das musst du unbedingt mal machen. Man hat Schmetterlinge im Bauch und alles scheint ganz leicht. Es ist, als wäre man eins mit Himmel und Erde“, schwärmte sie. „Wusstest du, dass ein Regenbogen eine Verbindung zwischen Himmel und Erde ist?“
Ich schüttelte den Kopf.
Mirabella seufzte. „Du weißt aber auch gar nichts! Wenn du oben drauf sitzt, verschmelzen Freude und Leid, und du fühlst dich, als könntest du fliegen.“
„Du KANNST fliegen“, warf ich dummerweise ein und erntete einen bösen Blick.

 

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„Was war denn nun mit dem Osterhasen?“, lenkte ich sie schnell ab.
„Als ich den Regenbogen hinuntergerutscht bin“, fuhr sie eifrig fort, „bin ich direkt in ihn hineingeschlittert. Stell dir vor, er saß dort im Gras und tauchte Eier in den Bogen.“
„Er tauchte Eier in den Regenbogen?“ Nun war ich doch verblüfft.
„Sagte ich doch! Er hielt weiße Eier hinein und bekam bunte Eier heraus. Wusstest du, dass der Osterhase die Eier im Regenbogen färbt?“
„Nein“, schüttelte ich wahrheitsgemäß den Kopf.
„Da lagen Berge von weißen und bunten Eiern und tausende von Hasen hoppelten mit einem Korb bunter Eier auf dem Rücken davon.“

„Es gibt mehr als einen Osterhasen?“ Ich zog meine Augenbrauen hoch.
„Natürlich nicht. Es gibt nur einen Osterhasen. Das andere sind seine Gehilfen. Aber nur der richtige Osterhase kann die Eier im Regenbogen färben.
Hast du schon mal ein weißes Ei in den Regenbogen gehalten und ein buntes heraus bekommen?“
„Bisher noch nicht“, gab ich zu.
„Siehst du!“, triumphierte sie.
„Klar, sonst bräuchte man den Osterhasen ja nicht“, versuchte ich etwas Kluges zu sagen.
„So ist es.“ Mirabella nickte anerkennend.
„Und wie macht der Osterhase das?“, fragte ich neugierig.
„Das ist das große Osterhasengeheimnis.“ Mirabella lächelte zufrieden.

„Wie kam es denn dazu, dass er dir die Puschelhasenohren geschenkt hat?“
„Zunächst habe ich ihm beim Eierfärben Gesellschaft geleistet“, erzählte sie stolz und nickte dazu. „Ich habe ihm von dir erzählt …“
„Von mir?“ Nun war ich ehrlich erstaunt. „Dann kennt der Osterhase mich?“
„Hm …“ Mirabella nickte.
„Was hast du ihm denn erzählt? Doch nur Gutes, oder?“, fragte ich misstrauisch.
„Och, ich erzählte ihm dies und das …“, lenkte sie ab, „… dann bot ich ihm an, auch einen Korb Eier in die Welt hinaus zu tragen …“
„Das hast du getan? Freiwillig?“

Das konnte ich gar nicht glauben. Niemals würde meine kleine Muse freiwillig eine Arbeit übernehmen, die nichts mit Geschichten erzählen zu tun hatte. Schließlich war sie eine Muse. Das sagte doch alles.
„Vielleicht war es auch seine Idee …“, räumte sie ein.
„Ach, er wollte dich loswerden“, grinste ich, „Du hast ihm wohl Tipps zum Eierfärben gegeben.“
„Er brauchte wirklich Hilfe“, protestierte sie und zupfte an ihrem Kleid, „ich konnte den Osterhasen doch nicht im Stich lassen. Außerdem schenkte er mir dafür die süßen Hasenohren.“

Nun konnte ich mir vorstellen, was passiert war. Nach einer Weile hatten sicher die Ohren des Osterhasen von Mirabellas Tipps und Geschichten geglüht und er wollte sie loswerden. Ein kluger Hase, er wusste, meine Muse würde dem Geschenk nicht widerstehen können. Aber hatte sie die Eier wirklich verteilt?

Als ich Mirabella fragte, wo sie denn die Ostereier hingebracht hatte, wechselte sie plötzlich das Thema.
„Wir sollten uns jetzt um das da kümmern.“ Energisch tapste sie mit ihrem Fuß auf den ersten Satz, der noch immer einsam auf dem Blatt stand, und stemmte die Hände in die Hüften: „Das ist ja wohl gar nix!“
Schmunzelnd sah ich Mirabella an. War sie etwa rot geworden?
„Du hast die Eier aufgegessen“, entfuhr es mir.
Das Rot in Mirabellas Gesicht vertiefte sich.
„Willst du jetzt, dass ich dir helfe oder nicht“, entgegnete sie schroff. „Ich kann mich auch da hinsetzen und Schokoeier essen …“
„Haben sie wenigstens geschmeckt?“, grinste ich.

Für einen Moment lächelte sie selig, doch dann kniff sie die Augen zusammen und kräuselte die Lippen.
„So wird das nichts“,
Mirabella schüttelte den Kopf, „den Satz da, den kannst du komplett streichen.“
Dann flog sie auf meine Schulter, zog an meinem Ohrläppchen und wackelte mit den Hasenohren: „Zum Glück hast du ja mich“, lächelte sie verschmitzt.

~ Ende ~

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Mirabella und ich 😉 wünschen euch Frohe Ostern. Lasst es euch gut gehen. ❤

doll(22)Martina Hildebrand

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39 Antworten zu Mirabellas Hasenohren

  1. nurmalich schreibt:

    also ich warte nicht auf den Einfall des Jahrhunderts. Denndas wär bei mir erst recht vergeblich.
    Mir würde schon der einfall des Jahrzehnts, oder des J_ahres reichen.
    Vielleicht schickst du die Hasenohrentragende mal bei mir vorbei?
    Aber bitte dann, wenn ich zu hause bin!
    🙂

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  2. wordsfromanneli schreibt:

    I love your artwork, Martina. Happy Easter!

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  3. ernstblumenstein schreibt:

    Frohe Ostern, liebe Martina.
    ❤ Ernst

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  4. Beate Neufeld schreibt:

    Ach was für eine schöne Ostergeschichte. Wunderbar, dass der Osterhase die Eier im Regenbogen färbt.
    Du kannst so schön unterhaltsam schreiben, es macht mir immer wieder Freude Deine Geschichten zu lesen. Sie verbreiten eine freudige, spielerische Leichtigkeit, so empfinde ich es.
    Ganz herzliche Ostergrüße zu Dir, liebe Martina. ♥

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  5. winnieswelt schreibt:

    ahhhhhhh, … meine geliebte Mirabella … ist sie also vom Sonnenutlaub mit dem Weihnachtsmann zurück – wie fein, … eine tolle Geschichte ❤ Schöne Oste

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  6. nixe schreibt:

    Liebe Martina, du hast ja eine ganz bezaubernd hübsche Muse ❤ und die hat dir ne wirklich aufregende Geschichte ins Ohr geflüstert. Hat die gerade etwas zutun? Grüß Mirabella von mir….
    Dir wünsche ich ein wunderbares Osterfest mit vielen Hoppelhäschen 😉
    I. Nixe

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    • buchstabenwiese schreibt:

      Danke schön, liebe Nixe. ❤
      Bei Mirabella weiß man nie, was sie gerade tut. 😉 Wenn ich sie sehe, soll ich dann fragen, ob sie mal bei dir vorbeischaut? 😉
      Danke dir. Ich wünsche dir ebenfalls ein superschönes Osterfest. 🙂

      Liebe Grüße,
      Martina

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  7. helago schreibt:

    Ohh, was für eine wunderschöne Geschichte, liebe Martina, Ich bin begeistert. Euch wünsche ich ein ganz dolles Oschterfeschtle. Bei uns braucht der Osterhase eine Schwimm- oder Taucherbrille auf Grund des Dauerregens. Gestern war ich Schwarzwald und da liegt noch Schnee. Nein, nicht die 3 1/2 Flocken auf den Quadratkilometer, sondern wesentlich mehr. Und zwar zwischen Calmbach und Freundenstadt.
    Heute habe ich mir Trüffel Schoko Ostereier gekauft und aus großer „Verzweiflung“ alle gleich gefuttert.

    Salut
    Helmut

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    • buchstabenwiese schreibt:

      Danke schön, lieber Helmut. ❤ Das freut mich sehr.

      Oh je, der arme Osterhase. Ich stelle ihn mir gerade mit Taucherbrille und Schwimmflossen vor. 🙂
      Bei uns war das Wetter auch eher bescheiden. Aber heute scheint tatsächlich die Sonne. Es ist nur noch nicht raus, wie lange sie sich heute halten kann. Wolken sind schon in Sicht.
      Oha, Schnee im Schwarzwald. Ja, die Temperaturen sind noch recht frisch. Hier sind es im Moment offenbar 1 Grad. Nicht gerade warm. Da musste der Osterhase sich bestimmt wieder die warme Jacke vom Weihnachtsmann ausleihen. 🙂
      *lach* Mal gut, dass Mirabella nicht bei dir war, sie hätte dir die Schokoeier alle weg gegessen. 😉

      Ich wünsche dir wunderbare Ostertage. ❤
      Liebe Ostergrüße,
      Martina

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  8. einfachtilda schreibt:

    🙂 Frohe Ostern liebe Martina.

    LG Mathilda ❤

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  9. Ruhrköpfe schreibt:

    Fröhliche Ostern! 🙂

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  10. Gabi schreibt:

    Deine Muse ist ja Goldes wert. Hübsch, ein bisschen frech und erzählt wunderbare Geschichten. ☺
    Wünsche Dir und Deiner Familie noch ein schönes und angenehmes Osterfest.
    Liebe Grüße
    Gabi

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  11. kowkla123 schreibt:

    Liebe Martina, es läuft, echt, beste Grüße, Klaus

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  12. Michaela schreibt:

    Nach langer Krankheit endlich wieder da und am bloggen.
    Wie schön dich „wiederzusehen!“
    Ganz lieben Gruß,
    Michaela

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  13. kowkla123 schreibt:

    alles Gute, Klaus

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  14. kowkla123 schreibt:

    ich wünsche ein schönes Wochenende, Klaus

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  15. Emily schreibt:

    Was für eine schöne Geschichte, die da entstanden ist, liebe Martina ❤
    Manchmal küsst einen die Muse, und dann kommt so etwas dabei heraus 🙂
    Ganz liebe Grüße, Emily

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  16. Pingback: Fröhliche Ostergrüße … | Buchstabenwiese Blog

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